Società | Reportage

Pragser WILD-See

Das Naturdenkmal verkommt zur Touristenhölle, meinen die einen. Die anderen können nicht genug davon bekommen. Eine Bestandsaufnahme.
Pragser Wildsee
Foto: @salto.bz

Massimillianos Blick schweift hinauf zum Seekofel, dem Emblem einer einzigartigen Bergkulisse. Dessen Antlitz spiegelt sich an der Oberfläche des türkisblauen Wassers des Pragser Wildsees. „Wie schön es hier doch ist. Ich komme jedes Jahr nach St. Veit und bin begeistert.“, schwärmt der etwas ältere Herr. Am Ufer spielt sein Enkelsohn, unter dem wachsamen Auge seines Großvaters und dem, unzähliger Wanderer und Schaulustiger. Viele kommen hier her, um sich an der Idylle dieses Naturschauspiels zu erfreuen.

 

Diese Idylle ist aber nicht erst seit heuer getrübt. Wahrlich wild geht es seit ein paar Jahren um den See zu. Betroffen ist das gesamte Pragser Tal: Vermehrtes Verkehrsaufkommen, Lärm- und Abgasbelästigung sind die Folgen von zunehmenden Besucherzahlen. Dem versucht man nun mit Straßensperren entgegenzuwirken: Zwischen 10 und 15 Uhr ist es nur Fußgängern und Radfahrern sowie Anrainern erlaubt, die Straße ab der Säge Richtung Pragser Wildsee zu befahren. Anstelle endloser PKW-Kolonnen gibt es nun also eigens eingerichtete Shuttle-Busse. 

 

Es ist sehr wetterabhängig, aber unter der Woche ist es oft ähnlich wie am Wochenende. 

 

Verena, Betreiberin des Souvenirshops am See, sieht die Maßnahme skeptisch: „Man muss etwas tun für die Natur hier, absolut. Aber das ist nicht die richtige Lösung. Die Busse sind randvoll, teilweise schon ab Niederdorf. Anwohner, die auf den Bus angewiesen sind, bleiben auf der Strecke. Die Touristen warten teilweise drei bis vier Stunden auf einen. Wie will man da noch etwas genießen am See?“. Massimilliano, der es sich auf einer Holzbank gemütlich macht, bläst ins selbe Horn: „Die Fahrverbote halten die Leute nicht davon ab, hierher zu kommen. Ich sehe sie immer von der Pension aus, wie sie in Scharen über die Wege wandern oder an den Haltestellen auf die Busse warten.“  Er ist selbst mit dem Bus gekommen, auch der Umwelt und der guten Luft zuliebe. 

 

Heute hält sich der Andrang in Grenzen. Noch zumindest. Der Linienbus – aus Toblach kommend – sieht sich kurz vor der Straßensperre mit nicht allzu großen Passagierzahlen konfrontiert. Auch auf der restlichen – rund dreißigminütigen Fahrt – halten sich Zu- und Ausstiege die Waage. Unter die zahlenmäßig überlegenen Touristen mischen sich auch einige Ortsansässige. Vorbei an zahlreichen Ferienwohnungen, Hotels und Gasthäusern passiert der Linienbus die Zentren der Fraktionen Schmieden und St. Veit. Dicht dahinter ein Shuttle-Bus, der im Halbstundentakt Besucher zum See bringt. 

Ein Problem scheint es für diese nicht zu sein, mit dem Bus zu kommen. „Es ist bequemer. Man setzt sich rein und sieht außerdem was“, meint ein Mitfahrer aus Deutschland bei der Ankunft an der Endhaltestelle. Dort sind kurz vor zehn Uhr noch Parkplätze frei. Maximal zwölf Euro pro Tag und PKW zahlt man für einen Abstellplatz, für Camper ist es deutlich mehr. Die meisten Autos kämen bereits gegen acht Uhr, erklärt einer der Parkwächter mit gelassener Miene. Anstatt Autos an der Einfahrt vorbei an den Schranken zu weisen, kassiert er nun vor einer Toilettenanlage Kleingeld für den Einlass. Um 10:07 Uhr ist es eine Gruppe Motorradfahrer, die als letzte nach der Sperre den See erreichen.

 

John aus Kalifornien ist ebenfalls mit dem Bus angereist. Er ist auf der Suche nach dem richtigen Wanderweg, der in über mehrere Schutzhütten nach Cortina führen soll. „In einigen unserer Nationalparks haben wir dieselben Probleme. In Yosemite oder Zion kommst du nur bis zum Eingang des Parks und musst dann auf kostenlose Shuttles umsteigen. Das funktioniert ziemlich gut. Ich halte es für eine gute Idee.“ 30 bis 35 Dollar zahle man dort für einen Parkplatz. „Das ist Geld, welches in die Parks investiert werden sollte. Man tut es aber nicht“, merkt John schmunzelnd an. 

 

Die Fahrverbote halten die Leute nicht davon ab, hierherzukommen. Ich sehe sie immer von der Pension aus, wie sie in Scharen über die Wege wandern oder an den Haltestellen auf die Busse warten.

 

Am rechten Uferrand entlang fallen mobile Imbisswägen auf. Gemäß dem, auf Holztäfelchen propagierten Motto „no picnic“, gibt es hier mit Speck belegte Brötchen zu kaufen. Daneben schattige Sitzgelegenheiten. An der angrenzenden Scheune ist eine Tafel befestigt, die auf die Dreharbeiten einer bekannten Fernsehserie hinweist. Die italienische TV-Produktion „Un passo dal cielo“ nutzt den Pragser Wildsee seit 2010 als Drehort. Das Interesse daran scheint groß zu sein. Wenige Schritte weiter steht eine Kapelle. An deren Gemäuer wird die historische Bedeutung des Ortes verdeutlicht, war er doch am Ende des Zweiten Weltkriegs Schauplatz für eine spektakuläre Geiselbefreiung aus den Händen der SS. Auf einer Glasplatte sind die Namen der geretteten Personen gelistet, die im Hotel Pragser Wildsee Zuflucht fanden. Just dort, wo einst auch Kaiser Franz Josef logierte.

 

„Die Leute haben keinen Respekt vor den Orten hier. Es wird herumgeschrien und gebrüllt auf den Wanderwegen und am Ufer. Dabei müsste man die Ruhe dieser Orte schätzen und bewahren, nicht stören. Aber das ist die Sicht eines 77 Jahre alten Herren.“ Während Massimiliano das sagt, wandert sein Blick an das andere Ufer des Sees. Etliche Ruderboote streifen seine Sicht. Für 28 Euro darf man sich eine Stunde lang als Bootsführer versuchen. Oder als Fotograf. Auch auf hoher See dürfen zahlreiche Schnappschüsse standardgemäß nicht fehlen.

Ungefähr 100 Meter von Massimillianos Bank entfernt, ragt ein Felsen aus der Untiefe des Sees hervor. Gar einige Wagemutige erklimmen diesen, zum Lohn eines zügig geschossenen Fotos. Viel Zeit bleibt nicht, ehe sich viele der Tagesbesucher wieder verabschieden. So auch zwei junge Damen aus Holland, die sich geschickt mittels Selbstauslöser auf Dolomitenpanorama verewigen. „Meine Schwester ist durch Bilder auf Instagram auf den See gestoßen. Deshalb sind wir hier. Es ist fantastisch“, erklärt die Ältere der beiden.

 

An gleicher Stelle posieren wenig später zwei Südkoreaner. Sie schauen sich gemeinsam Fotos auf ihrer Digitalkamera an und zeigen sich begeistert von der Einzigartigkeit des Sees. „Wir haben uns ein Auto geliehen für unseren Aufenthalt. Wollen heute noch weiter zur Seceda und morgen geht es wieder nach Hause.“ Auf die Frage, ob die vielen anderen Touristen hier störten, antworten sie mit einem simplen Nein. Und breitem Lächeln.

Inzwischen ist es kurz nach 13 Uhr. Über einen trockengelegten Zulauf, vorbei an einem Infostand, wo Karten der Umgebung zur freien Entnahme bereitliegen, drängen sich immer mehr Gäste auf den Steig rund um den See. Bar und Imbiss am Parkplatz sind, bis auf wenige, für Reisegruppen reservierte Tische, auf den letzten Platz belegt. An der Bushaltestelle fährt der Shuttlebus Richtung Welsberg vor. Auch er verkehrt jede halbe Stunde. Ein Dutzend Besucher hat sich indes schon auf den Einstieg vorbereitet. Das Gedrängel ist überschaubar, die Verwirrung über die verschiedenen Busse und ihre Abfahrtszeiten allerdings beträchtlich. 

 

Es ist aber richtig, den Ansturm auf den See zu bremsen. Ansonsten verkommt das hier zu einem Tollhaus. 

 

„Ganz in Ordnung finde ich es nicht. Sie machen einem das Leben schon etwas schwer. Man muss unten im Tal an der Haltestelle oft lange anstehen, obwohl hier oben noch Plätze frei sind“, sagt ein von der Mittagssonne unbehelligter Massimilliano. „Es ist aber richtig, den Ansturm auf den See zu bremsen. Ansonsten verkommt das hier zu einem Tollhaus.“ Bei der Rückfahrt über die langgezogenen Kurven zurück nach Säge, zeigt sich prompt das Bild einer längeren Menschenschlange am Straßenrand. Angesichts der derzeitigen Lage, lässt sich der Ansturm an sonnigen Tagen im August nur erahnen.