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Des Schützen Gratwanderung

Welches Licht wirft der Holocaust-Vergleich eines jungen Mitglieds während eines Informationsabends zu Flüchtlingen auf die Schützen?

Junge Mitglieder fühlen sich bei den Schützen wohl. Das bestätigt die am Donnerstag präsentierte Studie “Jugendliche und Patriotismus in Südtirol”. Freude beim Schützen-Landeskommandant Elmar Thaler: “Die Schützen tragen dazu bei, dass Patriotismus und Liebe zur Heimat den Jugendlichen positiv und anstrebenswert vermittelt wird.” So weit so gut. Doch vor der Gratwanderung zwischen konstruktivem Patriotismus, der allzu leicht und häufig in Extremismus und Fremdenfeindlichkeit umschlagen kann, sind auch die Schützen nicht gefeit. Den Beweis dafür liefert ein Vorfall, der aktueller nicht sein könnte.


Schock am Abend

Es war am Montag Abend in Kastelruth. Zahlreiche Interessierte hatten sich im Pfarrsaal des Tourismusortes eingefunden, um Informationen aus erster Hand zu den im Dorf erwarteten Flüchtlingen zu erhalten. Nach einer Stunde geht das Wort ans Publikum über. Nicht allzu viele melden sich zu Wort. Doch ein junger Mann ergreift die Chance, erhebt sich und gibt einen Satz von sich, der auch Tage später noch für Wirbel und Ungläubigkeit sorgt. “Den Holocaust in Deutschland hat es nur gegeben, weil dort so viele Juden gelebt haben. Zwei fremde Kulturen vertragen sich halt nicht.” Entsetzen im Publikum. Die am Podium sitzende Landesrätin Martha Stocker weist den jungen Mann scharf zurecht. Vor ihm haben andere Anwesende vor Flüchtlingen und den Gefahren, die angeblich von ihnen ausgehen, gewarnt. Doch die meisten der Störenfriede kennen die Kastelruther nicht, “waren wohl eingeschleust”, heißt es. Nicht so im Falle des jungen Mannes. Dessen Gesicht ist allen im Dorf wohl bekannt. Er ist ein Schütze, Mitglied in der Kompanie Kastelruth und bei der Süd-Tiroler Freiheit engagiert.

Wo verläuft die Grenze zwischen konstruktivem Patriotismus und Extremismus? Ausschnitt eines Bildes, das der junge Kastelruther Schütze auf Facebook verwendet.

“Unpassend und absolut beschämend”, erinnert sich eine Teilnehmerin des Abends. Auf Facebook und in Onlinemedien sorgt der Informationsabend in Kastelruth mittlerweile für einigen Diskussionsstoff. Auch, weil sich nach dem jungen Kastelruther Schützen ein weiterer Herr aus der Versammlung erhebt und mit einem “Heil Hitler”-Ruf den Saal ein zweites Mal schockt. Als der Vorfall bekannt wird, greift ihn die Antifa Meran auf, gar einige Facebook-User folgen. Auch im Dorf selbst ist der Hitler-Rufer mittlerweile Gesprächsthema Nummer eins. Er handle sich dabei um einen verwirrten älteren Herrn, der Probleme mit starkem Alkoholkonsum habe, ist in Kastelruth selbst in Erfahrung zu bringen. Auch an jenem Montag Abend sei er betrunken gewesen. “Was seine Aussage nicht weniger schlimm macht”, will einer, der an besagtem Abend dabei war, klar gestellt wissen. Die Frage sei allerdings, warum der Vorfall um den jungen Schützen im Dorf totgeschwiegen wird.

Mit den Schützen hat das nichts zu tun; man darf Heimatliebe nicht mit Rechtsradikalismus vermischen!!! Rechtsradikale werden vom Schützenbund ausgeschlossen, wenn irgend jemand das wäre. (User-Kommentar auf Facebook)


Fahler Schein auf Schützen

Gar einige fordern nun, dass sich die Kastelruther Schützen von dem Sager ihres Kompaniemitglieds distanzieren. Bisher sei allerdings nichts von deren Seite gekommen, heißt es. “Solche Äußerungen sollen strafrechtlich verurteilt werden”, fordert ein User unter einer Diskussion um das Thema auf Facebook. Anderswo rät man dem jungen Mann zu “Nachhilfestunden in Geschichte oder Ethik”. Wieder ein anderer verlangt noch schärfere Konsequenzen: “Sollte sich bestätigen, dass ein Schütze diese Äußerungen getätigt hat, würde ich als Schützenkommandant das entsprechende Mitglied aus der Gruppierung ausschließen, sofern die Statuten das zulassen – wovon ich ausgehe.” Für den jungen Mann dürfte das wohl ein herber Schlag sein. Er ist als begeisterter Schütze und Patriot bekannt. Und kein unbeschriebenes Blatt in Sachen grenzgängiger Aussagen. Auf die Frage, ob er den wisse, wann die Flüchtlinge im Kastelruther Kloster der Tertiarschwestern einziehen werden, antwortete er bereits im Juli dieses Jahres auf Facebook: “Keine Ahnung, hoffentlich nie.”

Ob seine weit bedenklicheren Aussagen von Montag Abend Folgen haben werden, muss sich erst noch zeigen. Doch wenn die Schützen, wie Elmar Thaler betont, wirklich ihre “Kohärenz, Geradlinigkeit und auch Berechenbarkeit” auszeichnet, dann wären Konsequenzen bis hin zum Ausschluss wohl der naheliegende Schritt. Andernfalls würde auch eine weitere Überzeugung des Landeskommandanten unter einem etwas fahlen Licht erscheinen: “Sie (die Schützen, Anm. d. Red.) verstellen sich nicht, um dem Zeitgeist zu entsprechen, sondern halten an ihren Werten fest”, so Thaler in Reaktion auf die Ergebnisse der Patriotismus-Studie.


“Nicht so gemeint”

Kurz nach Erscheinen des Artikels erreicht die Redaktion eine Stellungnahme des Jungschützen, die wir gerne veröffentlichen:

Sehr geehrte Redaktion!

Ich bitte um Richtigstellung.

Ich mache darauf aufmerksam, dass ich beim Informationsabend in Kastelruth aufgrund Aufgeregtheit einen Satz gesagt habe, den ich aber nicht so meinte. Das tut mir leid.

Eigentlich wollte ich sagen: „Ich möchte nicht, dass sich die unsägliche Geschichte des Holocaust nochmal wiederholt, bloß weil sich der Hass auf unschuldige Menschen oder Gruppen auslädt. Wir haben Bankenkrise, Wirtschaftskriese und Flüchtlingsproblem und weltweite Anschläge. Ich möchte nicht, dass sich die Geschichte wiederholt, weil die Leute nichts aus der Vergangenheit lernen und einseitige Schuldzuweisungen erfolgen.“

Ich habe mich immer vom Nationalsozialismus distanziert. Ich bin von der Idee eines demokratischen Systems überzeugt. Hiermit distanziere ich mich nochmals ausdrücklich von allen totalitären Systemen und dem nationalsozialistischem Gedankengut. Meine Mitgliedschaft in welchem Verein oder Partei auch immer tut nichts zur Sache. Ich war als Privatperson bei der Veranstaltung.

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Sylvia Rier Sa., 21.11.2015 - 12:23

Ich finde, es wirft ein schlechtes Licht auf die Schützenkompanie in Kastelruth, wenn keine Konsequenzen gezogen werden - insbesondere, als die Schützen insgesamt doch sehr darauf bedacht sind, sich aus der "rechten Ecke" heraus zu manövrieren bzw. sich da raus zu halten. Es kommt ja übrigens erschwerend dazu, dass dieser Sager weder mit jugendlicher noch überhaupt Dummheit "erklärt" werden könnte, und auch sonst gibt es m. E. nichts, was mildernde Umstände herbei reden helfen könnte. Ich glaube schon, dass größtmögliche Vorsicht mit solchen Sagern sehr angebracht ist, in Zeiten wie den unseren mehr denn je. Heimatliebe hat ja übrigens nichts mit Aus- und Abgrenzung zu wie auch immer geartetem "Anderem" zu tun - Patriotismus scheinbar doch.

Sa., 21.11.2015 - 12:23 Permalink
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Dr. Streiter Sa., 21.11.2015 - 19:59

Antwort auf von Sylvia Rier

Wahrscheinlich kann man dem nur zustimmen wenn man die Situation besser kennt.
Aus der Ferne ohne Kenntnis der genauen Situation hat der Schutz der Jugend schon Bedeutung.
Ich erinnere mich recht gut daran dass ich keine Vorstellung des Nationalsozialimus hatte als ich Jugendlich war. Weniger als das, hatte ich eine Ahnung von der Südtiroler Geschichte und einen Zusammenhang hätte ich zwischen beiden nie gesehen, so naiv war ich. Es gab nur bruchstückhafte Zeitgeschichtliche Ikonen Hitler Einstein Mussolini Marilin, heute würde man sagen Marken. Es ist aber ein Alter in dem man viele verrückte Theorien hat, weil man eben die Tatsachen nicht kennt. Eine unausgegorene Hypothese der ethnischen Reinheit hat der Herr Ausgesproches, die heute noch ein Helmut Schmidt wiederholt sagen durfte.

1. http://www.zeit.de/2011/43/50-Jahre-Migration-Schmidt
2. https://www.google.de/search?q=helmut+schmidt+ausl%C3%A4nder&safe=off&t…

Ein Siebzenjähriger? aber nicht. Weil wir alle nur noch Angst haben. Die einen vor den Migranten, die Anderen davor dass die Einheimischen zu Nazis werden wegen den Migranten.

Genau das Gegenteil einer Offenen Gesellschaft.

Ich plädiere da für Coolness und Konzentration darauf was für beide Parteien gelten muss: die Grundwerte des Humanismus, die würde des Menschen ist unantastbar, das muss aber erklärt werden.
Eine Reife Leistung des Schützenbundes wäre es mit einer Aufklärungskampagne zu reagieren, jedenfalls Jungschützen einen (Zeit-)Geschichtsuntericht anzubieten, der diese Sachen klärt.
Das jetzt irgend ein armer minderjähriger Wappler der sich eh gerade in die Hosen macht aus dem Schützenbund ausgeschlossen ist unbarmherzig und auch nicht sehr schlau.
Vorausgeschickt, aus der Ferne betrachtet, ohne genauere Kenntniss.

Sa., 21.11.2015 - 19:59 Permalink
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Sylvia Rier So., 22.11.2015 - 09:11

Antwort auf von Dr. Streiter

Da muss ich jetzt, der Korrektheit halber, ein wenig nachjustieren: Der Schütze ist - eben! - leider keineswegs so jung, dass der Ver-Sager mit seiner Jugendlichkeit erklärt (und gern abgetan) werden könnte. Ich denke, er geht ohne weiteres auf die Dreißig zu. Er ist aber nicht wirklich das Problem, meine ich - wenn, was er sagt, sich auf ihn persönlich und das Dorf einschränken ließe. Damit kämen sowohl er als auch das Dorf und seine Schützenkompanie/seine Partei klar - ein gutes Gespräch, und die Sache hat sich. Wären da nicht die sozialen Medien und ein leider offenbar sehr aufnahmebereiter Boden. Ich denke z. B. an die wirklich jungen Leute, vielleicht noch nicht gefestigt, auf der Suche nach Halt oder Orientierung - die könnten, meine ich, so einen Sager, wenn er keine Konsequenzen nach sich zieht, sehr falsch und als Legitimierung solchen Gedankenguts auffassen. Ich fürchte, es sind einfach nicht die Zeiten, in denen "wir" uns so etwas leisten können.

So., 22.11.2015 - 09:11 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 21.11.2015 - 13:04

Antwort auf von DervomBerge Tratzer

Natürlich nicht (tut ja auch niemand). Und gerade deshalb oder deshalb ganz besonders sollten die "anderen" Schützen das auch ganz klar stellen. Ich glaube übrigens nicht, dass Frau Klotz so einen Sager toleriert hätte (nicht, dass ich sie groß kennen oder viel über sie wissen würde - aber ich hatte doch den Eindruck gewonnen, dass sie ziemlich "straight" ist). Oder?

Sa., 21.11.2015 - 13:04 Permalink
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Eva Pfanzelter So., 22.11.2015 - 10:16

Antwort auf von DervomBerge Tratzer

Sogar ganz sicher nicht! Es gibt viele (junge) Schützen - und Musikant_innen, Trachtler_innen etc. - die mit rechts nichts anfangen können und wollen.
Aber gerade deswegen braucht es eine eindeutige, unmissverständliche Positionierung des Schützenbundes. Sonst ist die ganze Aktion "raus aus dem rechten Eck" nicht glaubwürdig.

So., 22.11.2015 - 10:16 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Sa., 21.11.2015 - 16:59

So jemand gehört von Verein und Partei rausgeschmissen, ohne wenn und aber. Mal davon abgesehen, dass für die Person ein Vereins bzw. Parteiausschluss jetzt wirklich kein Weltuntergang ist, kann es sich in erster Linie der Verein oder die Partei nicht leisten so jemanden zu behalten.
Mich würde interessieren was Thaler und Frau Klotz davon halten.

Sa., 21.11.2015 - 16:59 Permalink
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Eva Pfanzelter Sa., 21.11.2015 - 20:55

Ach für so ein bisschen Geschichte-Nachhilfe wäre ich glatt zu haben.Aber das geht nicht, wenn die Jungs hinbeordert werden und brav zuhören müssen (schon erlebt).

Sa., 21.11.2015 - 20:55 Permalink
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Sylvia Rier So., 22.11.2015 - 09:18

Antwort auf von Eva Pfanzelter

Eva :-) ! Ich habe mir neulich schon mal überlegt, ob nicht ein Diskussionsabend interessant wäre, so nach der Art wie Markus Lobis sie im Ost-West-Club macht?! Ich finde überhaupt, "Diskussion" im Sinne der Konfrontation des Eigenen mit dem Anderen kommt viel zu kurz - wäre so eine Veranstaltung für dich (auch) denkbar? Ich denk mir halt, es wäre vllt. fruchtbarer, wenn sich jedeR auch einbringen kann, echt einbringen kann - wie du ja selbst sagst, ist das mit dem hin beordert werden und zuhören müssen nicht so spannend, vielleicht?

So., 22.11.2015 - 09:18 Permalink
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gorgias So., 22.11.2015 - 21:29

Ich finde das Grenzgängertum als roten Faden des Artikels aus zwei Gründen daneben:
1. Hat diese Person schon alle Grenzen überschritten, in Deutschland und Österreich würde er für solche NS-apologetischen Aussagen wegen Wiederbetätigung angezeigt. Inwieweit diese Aussagen im Rahmen des Mancino-Gesetzes zu einer Anzeige führen können wäre für mich hier auch noch zu erörtern.
2. Wird hier Patriotismus gleich als eine Gradwanderung dargestellt. Wer eine patriotische Einstellung hat der muss automatisch schon gefährdet zu sein, um über den rechten Rand des demokratischen Spektrum zu fallen.
Ich glaube, dass das nicht allgemein sein muss, sondern es an dem Umfeld liegt, das wir in Südtirol haben, in denen sich Organisationen aus dem Umfeld dieses Individuums, die gerne sich als Patrioten bezeichnen, um sich vom Rechten Rand abzugrenzen, es aber dies bis jetzt auf einer sehr oberflächlichen Weise getan haben: http://antifameran.blogspot.it/2009/05/stf-dem-vaterland-engegen-egal-m…
Die Schützen haben auch nicht nach dem Krieg angefangen sich vom rechts-braunen Rand ordentlich abzugrenzen, sondern marschierten Jahrzehnte noch mit NS-Orden. Auch gab es einen kleineren Skandal, weil auf der Internetseite der Schützen ein Link zu deutschem und deutsch-braunen Liedgut vorhanden war.
Wenn diese Person schon vorher "grenzwertige" Aussagen von sich gab, wie es irgendwo hier schon behauptet wurde, dann hat sein Umfeld aus Partei und Verein ihre aufgaben nicht gemacht ihn rechtzeitig zurechtzuweisen und statt dessen es bis zu diesem Eklat kommen lassen.

Übrigens die Aussage die bei dieser Versammlung gesagt hatte ist ziehmlich ausgefeilt, ich glaube kaum dass er diese so aus dem stegreif formulierte, sondern sich schon vorher irgendwo gebildet hatte. Die Stellungnahme ist auch ziehmlich ausgefeilt. Ich frage mich wer diese geschrieben hat. Interressant ist dass er darin die beiden Organisationen exculpiert.

Nur weil es in Südtirol kaum einen Patriotismus auf einem soliden demokratischen Sockel aufzufindet ist, heisst das nicht dass man Patriotismus selbst als eine Grenzgängerposition bezeichnen muss. Siehe Schottland, Katalonien und Frankreich.

So., 22.11.2015 - 21:29 Permalink